Abfallklassifizierung

Abfalleinstufungssysteme

In der europäischen abfallwirtschaftlichen Praxis kommen zwei auf unterschiedlichen Grundlagen beruhende Abfalllistensysteme zur Anwendung. Die international und national zur Anwendung kommenden Abfallklassifikationen und Abfallkataloge oder ‑verzeichnisse werden in den beiden Unterseiten kurz erläutert, da diese sowohl für das Verständnis der Regelungen zur grenzüberschreitenden Abfallverbringung als auch für den Vollzug des nationalen Abfallrechts von grundlegender Bedeutung sind.

Diese Abfalleinstufungssysteme wurden auf Grundlage unterschiedlicher Prinzipien entwickelt und ausgestaltet. Dabei kann die Abfalleinstufung grundsätzlich stoffbezogen oder herkunftsbezogen unter Anwendung von stoffinhärenten Gefahreneigenschaften und/oder Risikobetrachtungen erfolgen.

Stoffe oder Gegenstände werden allerdings nicht automatisch zu Abfall, wenn sie einer der Bezeichnungen im EAV oder aber der Grünen oder Gelben Liste zugeordnet werden können. Für die Einstufung als Abfall allein maßgebend ist die Erfüllung der Abfalldefinition gemäß EG-AbfRRL. Es ist somit entscheidend, ob der Besitzer einer beweglichen Sache oder eines Stoffes sich dieser entledigt, entledigen will oder entledigen muss. Zur Auslegung des Abfallbegriffs können auch die im KrWG enthaltenen Definitionen einschließlich der Entledigungstatbestände herangezogen werden.

Europäisches Abfallverzeichnis

Das Europäische Abfallverzeichnis (EAV) ist überwiegen herkunftsbezogen aufgebaut. Von den Kapiteln bis hin zu den Abfallcodes erfolgt im EAV eine grundsätzlich immer präziser werdende Abfallbeschreibung. Die Abfallcodes werden durch eine sechsstellige Zahlenfolge repräsentiert, wobei die ersten zwei Stellen die Kapitelzugehörigkeit und die nächsten zwei Stellen die Zuordnung zu der Gruppe darstellen. Mit den beiden letzten Stellen wird dann die Abfallart endgültig bestimmt.

Die Einstufung der Abfälle erfolgt auf Grundlage des Anhangs III der europäischen Abfallrahmenrichtlinie (EG-AbfRRL). Die dort aufgelisteten HP-Kriterien (stoffinhärente Gefährlichkeitskriterien) bauen auf den Kriterien der CLP‑Verordnung auf. Die HP-Kriterien sind mit Grenzwerten oder anderen Anforderungen hinterlegt. Eine Ausnahme bildet das Gefährlichkeitskriterium „infektiös“ (HP 9), welches nach nationalen Regelungen ausgefüllt wird.

Diese Einstufung lehnt sich zwar stark an die chemikalienrechtliche Einstufung von Stoffen und Zubereitungen an, übernimmt diese aber nur teilweise und hat auch Anpassungen vorgenommen. Es ist deshalb durchaus möglich, dass ein nach Chemikalienrecht gefährlicher Stoff als Abfall als nicht‑gefährlich einzustufen ist (beispielsweise höherer abfallrechtlicher Grenzwert für HP13). Andererseits kann ein nach Chemikalienrecht als nicht‑gefährlich einzustufender Stoff aufgrund der Anwendung des zusätzlichen abfallrechtlichen Gefährlichkeitskriteriums HP15 als gefährlicher Abfall eingestuft werden.

Abfalleinstufung im Abfallverbringungsrecht

Im Bereich der grenzüberschreitenden Abfallverbringung wird seit Inkrafttreten der EG‑Abfallverbringungsverordnung im Jahre 1994 parallel dazu ein überwiegend stoffbezogen aufgebautes Abfalleinstufungssystem angewendet. Grundlage ist das nach Risiko zweigestufte System der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) welches aus der Grünen und Gelben Liste besteht und mir EU-spezifischen Ergänzungen/Änderungen in die Verordnung über die Verbringung von Abfällen (VVA) übernommen wurde. Die Übernahme der auf den Anlagen VIII und IX des Basler Übereinkommens basierenden OECD‑Abfalllisten in die entsprechenden Anhänge der VVA war dem allgemeinen Wunsch zur weltweiten Harmonisierung der in der grenzüberschreitenden Abfallverbringung zur Anwendung kommenden Abfalllistensysteme geschuldet.

Allerdings beruhen die Gefahrenmerkmale sowohl des Basler Übereinkommens als auch des OECD-Ratsbeschlusses auf den Gefahrenkriterien für den Transport gefährlicher Güter. Damit unterscheidet sich das Klassifizierungssystem der VVA grundlegend von demjenigen des EAV. Weiterhin kommt bei der Einstufung in die Grüne oder Gelbe Abfallliste eine andere Systematik als im EAV zum Tragen. Bei den Abfalllisten der VVA erfolgt die Einstufung unter Anwendung einer Risikobetrachtung, während beim EAV die Einstufung als gefährlich unter ausschließlicher Anwendung der auf dem europäischen Chemikalienrecht beruhenden stoffinhärenten Gefahreneigenschaft – ohne Durchführung einer Risikobetrachtung – erfolgt.