Die Abfallvermeidung ist höchste Priorität in der abfallwirtschaftlichen Hierarchie. Erstmalig wurde im Abfallwirtschaftsprogramm ’75 der Bundesregierung die folgende Rangfolge
- Reduzierung der Abfälle auf Produktions- und Verbraucherebene,
- Steigerung der Nutzbarmachung von Abfällen und
- schadlose Beseitigung von Abfällen
formuliert. Es dauerte dann noch 11 Jahre bis eine abfallwirtschaftliche Hierarchie Eingang ins Abfallgesetz von 1986 (§ 1a AbfG) fand. Damit wurden erstmalig Grundsätze und Pflichten zur Vermeidung und Verwertung von Abfällen ins Abfallgesetz aufgenommen. Kernstück war das Gebotes zur Abfallvermeidung und ‑verwertung sowie dazugehöriger Verordnungsermächtigungen. Auf dieser Basis wurden entsprechende Verordnungen erlassen, wovon die Verpackungsverordnung das bekannteste Beispiel ist. Mit dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz von 1994 wurde die dreistufige Abfallhierarchie: Vermeidung – Verwertung – Beseitigung eingeführt, die im Kreislaufwirtschaftsgesetz von 2012 zur fünfstufigen Abfallhierarchie erweitert wurde.
Es gibt unterschiedliche Definitionen der Abfallvermeidung. Die Schwierigkeit liegt darin, dass sie Aktivitäten umfasst, die außerhalb der abfallwirtschaftlichen Sphäre liegen. Das betrifft Aktivitäten die „nicht stattgefunden“ haben, oder anders ausgedrückt Tätigkeiten die nicht ausführt wurden. Dazu zählen Maßnahmen und Handlungen die den Abfallanfall bei der Produktion, der Distribution und der Konsumption verhindern.
Abfallvermeidung hat sowohl bei konzeptionellen und strategischen Ansätzen als auch bei den gesetzlichen Vorschriften, aber auch im Rahmen der gesellschaftlichen Diskussion Priorität vor anderen Maßnahmen der Abfallwirtschaft. Betrachtet man jedoch die zunehmend anfallenden Abfallmengen zeigt aber die abfallwirtschaftliche Praxis ein deutlich anderes Bild.
Dies zeigt, dass ein entschiedener Erfolg bei der Vermeidung von Abfällen nur durch entsprechende Änderung der Produktions- und Konsumweisen erreichbar ist. Letztlich kann dies nur durch Suffizienz erreicht werden. Ursprünglich wurde Suffizienz als Entschleunigung, Entflechtung, Entkommerzialisierung und Entrümpelung definiert [Sachs 1993]. Man kann Suffizienz aber auch als Lebens- und Wirtschaftsweise, die dem übermäßigen Verbrauch von Gütern und damit Stoffen und Energie ein Ende setzt [Linz 2002] definieren.
Abfallrechtliche Definition in Deutschland
Abfallvermeidung wird in § 3 Abs. 20, Satz 1 KrWG wie folgt definiert:
„Vermeidung im Sinne dieses Gesetzes ist jede Maßnahme, die ergriffen wird, bevor ein Stoff, Material oder Erzeugnis zu Abfall geworden ist, und dazu dient, die Abfallmenge, die schädlichen Auswirkungen des Abfalls auf Mensch und Umwelt oder den Gehalt an schädlichen Stoffen in Materialien und Erzeugnissen zu verringern.“
Damit wird deutlich, dass Abfallvermeidungsmaßnahmen vor der Abfallentstehung eingreifen müssen. Dies betrifft somit insbesondere das Produktdesign und die Auswahl und den Einsatz von Stoffen und Materialien. Dabei spielen die Schadstofffreiheit, die Länge der Nutzungsdauer und die Verwertungsmöglichkeit der eingesetzten Stoffe und Materialien eine wesentliche Rolle.
Gemäß § 6 KrWG sind dabei Vorrangig folgende Ziele anzustreben:
- Verringerung der Abfallmenge,
- Verringerung der schädlichen Auswirkungen des Abfalls auf die Umwelt und die menschliche Gesundheit,
- Verringerung des Gehalts an schädlichen Stoffen in Materialien und Produkten.
Neben den deutschen und EU-rechtlichen Vorgaben gibt es auch auf internationaler Ebene wie der OECD Bestrebungen die Abfallvermeidung zu fördern.
OECD Referenzhandbuch zur strategischen Abfallvermeidung
Die OECD unterscheidet in ihrem Referenzhandbuch zur strategischen Abfallvermeidung (Reference Manual on Strategic Waste Prevention – [OECD 2000]) die folgenden drei Begrifflichkeiten:
- Strikte Vermeidung
Diese beinhaltet die vollständige Vermeidung der Abfallentstehung durch den weitgehenden Verzicht auf gefährliche Stoffe oder durch die Reduzierung der Material- oder Energieintensität bei Produktion, Verbrauch und Verteilung.
- Verminderung an der Quelle
Die Verminderung an der Quelle beinhaltet die Minimierung des Einsatzes von giftigen oder schädlichen Substanzen und/oder die Minimierung des Material- oder Energieverbrauchs
- Wiederverwendung oder Weiterverwendung von Produkten
Dies umfasst die mehrfache Nutzung eines Produkts in seiner ursprünglichen Form, für seinen ursprünglichen Zweck oder für eine Alternative, mit oder ohne Wiederaufbereitung. Mit diesen dritten Punkt werden allerdings in der abfallwirtschaftlichen Sphäre liegende Handlungen und Maßnahmen der Vermeidung zugeschlagen.
Quantitative und qualitative Abfallvermeidung
Häufiger wird bei der Abfallvermeidung auch in quantitative (mengenrelevante) und qualitative (schadstoffrelevante) Abfallvermeidung unterschieden. Zur quantitativen Abfallvermeidung werden Maßnahmen gezählt, die bei der Produktion auf die Verminderung der später anfallenden Abfallmenge zielen wie beispielsweise ein Produktdesign mit dem Ziel langer Gebrauchsdauer und Reparierbarkeit, sowie der Verringerung der eingesetzten Materialmengen. Zur qualitativen Abfallvermeidung werden Maßnahmen gezählt, wie beispielsweise der Ersatz von gefährlichen oder anderweitig problematischen Stoffen durch alternative Stoffe oder den Verzicht auf Materialien, die keinem Recycling zugeführt werden können.
Abfallvermeidungsprogramm
Gemäß § 33 KrWG ist ein Abfallvermeidungsprogramm aufzustellen. Diesbezüglich enthält Anlage IV des KrWG eine Vielzahl von möglichen Maßnahmen zur Abfallvermeidung. Diese umfassen u.a. Maßnahmen die auf die Konzeptions‑, Produktions‑, und Vertriebsphase von Produkten abzielen sowie Maßnahmen die die Verbrauchs‑ und Nutzungsphase betreffen.
Basierend auf den rechtlichen Grundlagen des KrWG wurde aufbauend auf Studien des Umweltbundesamtes in 2013 das erste Abfallvermeidungsprogramm von Bund und Ländern veröffentlicht.
Quellen:
[Sachs 1993] Wolfgang Sachs: „Die vier E’s: Merkposten für einen maßvollen Wirtschaftsstil“, in Politische Ökologie Nr. 33, 1993, S. 69–72.
[Linz 2002] Manfred Linz et. al: „Von nichts zu viel – Suffizienz gehört zur Zukunftsfähigkeit“, download unter: https://epub.wupperinst.org/frontdoor/deliver/index/docId/1512/file/WP125.pdf
[OECD 2000] Strategic Waste Prevention – Reference Manual, ENV/EPOC/PPC(2000)5/FINAL, Paris, 1. August 2000